23. Juli 2025
Verträge

Adhäsionsklage schützt nicht vor negativer Feststellungsklage bezüglich vertraglicher Ansprüche

Das Bundesgericht hat im Urteil 4A_249/2024 vom 4. März 2025 klargestellt, dass die sogenannte Adhäsionsklage – ein Verfahren, bei dem Opfer im Strafverfahren zivilrechtliche Schäden geltend machen – keine 'Sperrwirkung' entfaltet, wenn es um vertragliche Ansprüche geht.

Hintergrund des Falls:
Eine Bank befand sich seit ihrem Auflösungsbeschluss vom 1. März 2018 in Liquidation. Eine Gläubigerin meldete im Liquidationsverfahren eine Forderung von CHF 20 Mio. gegen die Bank an, welche die Bank bestritt. Dabei stützte sich die Gläubigerin auf eine vertragliche Grundlage.

  • Strafverfahren & Adhäsionsklage: Bereits 2016 machte die Gläubigerin im Strafverfahren eine adhäsionsweise Schadenersatzforderung von CHF 20 Mio. gegen die Bank geltend.
  • Negative Feststellungsklage: 2019 und erneut 2023 reichte die Bank eine negative Feststellungsklage ein – sie wollte feststellen lassen, dass die Gläubigern keinen vertraglichen Anspruch habe.
  • Das Handelsgericht Zürich trat auf die Klage nicht ein mit der Begründung, durch die Adhäsionsklage im Strafverfahren bestehe noch immer eine Sperrwirkung infolge Rechtshängigkeit.
  • Die Bank reichte Beschwerde beim Bundesgericht ein und erhielt Recht. Mit dem vorliegenden Urteil des Bundesgerichts wird der Nichteintretensentscheid der Vorinstanz aufgehoben.

Was hat das Bundesgericht entschieden?
1. Grundsatz: Für Sperrwirkung ist Rechtsgrund nicht relevant
Damit ein bereits laufendes Verfahren ein späteres Verfahren blockieren kann (Sperrwirkung), müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Gleiche Parteien müssen beteiligt sein.
2. Gleicher Streitgegenstand muss vorliegen.

Was „Streitgegenstand“ bedeutet, definiert die ZPO nicht. Das Bundesgericht verwendet dazu den sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff: Entscheidend sind
• die Klageanträge (was verlangt wird) und
• der zugrunde liegende Sachverhalt (die Tatsachen, auf die sich die Klage stützt).

Nicht entscheidend ist hingegen, auf welche Rechtsnorm sich die Klage beruft – das prüft das Gericht ohnehin von Amtes wegen (iura novit curia).
Kurz: Für die Sperrwirkung kommt es nicht auf den juristischen „Rechtsgrund“ an, sondern allein auf die Parteien, die Begehren und die zugrundeliegenden Tatsachen.

2. Ausnahme: Adhäsionsprozess
Vertragliche Ansprüche können im Rahmen des Strafverfahrens nicht adhäsionsweise beurteilt warden. Das Strafgericht kann im Rahmen einer Adhäsionsklage nur ausservertragliche Ansprüche beurteilen, etwa aus unerlaubter Handlung – nicht aber vertragliche Ansprüche. Entsprechend gilt die Sperrwirkung infolge Litispendenz nur für solche Ansprüche, die tatsächlich im Strafverfahren geprüft werden können. Eine spätere negative Feststellungsklage im Zivilverfahren kann zulässig sein, wenn sie sich auf einen vertraglichen Anspruch stützt, der im Strafverfahren gar nicht Gegenstand der Überprüfung durch das Strafgericht sein kann.

3. Fazit: Sperrwirkung einer Adhässionsklage nicht bei vertraglichem Rechtsgrund
Für eine Sperrwirkung müssen sowohl Parteien als auch der Streitgegenstand identisch sein. Ist der Rechtsgrund unterschiedlich (Vertrag vs. Delikt), entfällt die Sperrwirkung. Allerdings ändert die fehlende Sperrwirkung nichts daran, dass das später angerufene Gericht aufgrund der Gefahr von sich widersprechenden Urteilen im Rahmen der Prozessleitung Rechnung zu tragen hat, namentlich durch eine allfällige Sistierung Zivilverfahrens bis das Strafgericht rechtskräftig über die Adhässionsklage entscheiden hat.

Schlusswort

Mit diesem Urteil sorgt das Bundesgericht klar für rechtliche Klarheit in einem komplexen Gebiet: Adhäsionsklagen und negative Feststellungsklagen sind nicht immer gegenseitig ausschliessend – insbesondere nicht, wenn es um vertragliche Ansprüche geht, die im Strafverfahren gar nicht geprüft werden dürfen.

Autor
Alexander Frei

Rechtsanwalt und Urkundsperson

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