«Keine Tiefgaragen mehr» alias Ausnahmebewilligungen für Bauten unter dem mittleren Grundwasserspiegel

Unspektakuläre Ausgangslage
Die Baubewilligung für ein Erneuerungsprojekt eines Abwasserverbandes wurde nicht erteilt. Begründet wurde dieser Entscheid damit, dass das Bauvorhaben unter den mittleren Grundwasserspiegel zu liegen kommt und damit gegen das Gewässerschutzrecht verstösst.
Spektakuläre Aufregung
Die verweigerte Baubewilligung rief Kantonsparlamentarier auf den Plan. In einem parlamentarischen Vorstoss wird vor weitreichenden Folgen dieses Entscheides – der gemäss dem Postulat eine «Praxisänderung» darstellen soll – gewarnt. Die Medien nahmen das Thema auf und der Bote der Urschweiz titelte am 16.7.2025: «Keine Tiefgaragen mehr?»
Nüchterne rechtliche Einordnung
- Bauen im Grundwasser ist bautechnisch teilweise recht anspruchsvoll (Auftrieb und Wasserdruck; Dichtheit der Baugrube; Abdichtung etc.).
- Anspruchsvoll ist jedoch auch die Rechtslage: Baukörper unter dem mittleren Grundwasserspiegel eines Grundwasservorkommens sind grundsätzlich verboten. Sie werden nur bewilligt, wenn das Vorliegen einer Ausnahmesituation nachgewiesen wird (sogenannte Ausnahmebewilligung für Einbauten unter dem mittleren Grundwasserspiegel).
- Eine Ausnahmebewilligung ist nur möglich, wenn nachgewiesen wird, dass die Durchflusskapazität des Grundwassers gegenüber dem natürlichen Zustand um nicht mehr als 10% reduziert wird («10%-Regel»).
- Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass die Interessen am Einbau die öffentlichen (v.a. Gewässerschutz-)Interessen überwiegen.
- Der Bauherr hat nachzuweisen, dass eine Ausnahmesituation vorliegt.
- Diese Rechtslage ist trotz des politischen und medialen Aufschreis nicht neu. Die entsprechende Gesetzesvorschrift (Anhang 4 Ziffer 211 Abs. 2 der Gewässerschutzverordnung) ist seit über 20 Jahren in Kraft.
- (Relativ) neu ist einzig, dass das Bundesgericht im Entscheid 1C_460/2020 vom 30.3.2021 die Baubewilligungsbehörden an die seit 2005 geltende Rechtslage erinnert hat: Eine Ausnahmebewilligung muss nicht nur die «10%-Regel» erfüllen. Vielmehr hat die Behörde eine Interessenabwägung vorzunehmen und transparent zu machen.
- Die «Praxisänderung» schafft somit nicht neues Recht. Dieses existiert nämlich unverändert seit 2005. Die Baubewilligungsbehörden müssen jedoch nicht nur das Einhalten der 10%-Regel kontrollieren. Vielmehr müssen sie auch die Interessenabwägung ernsthaft vornehmen und im Baubewilligungsentscheid wiedergeben.
Viel Aufregung um (fast) Nichts
- Bei der «Praxisänderung» geht es somit nur um das Anwenden geltenden Bundesrechts. Kantonales Recht kann daran nichts ändern.
- Einbauten unter dem mittleren Grundwasserspiegel – auch Tiefgaragen – sind weiterhin möglich.
- Ein Bauherr muss neu einfach mehr als «früher» in den Nachweis der von ihm behaupteten Ausnahmesituation investieren. Er muss der Baubewilligungsbehörde darlegen, weshalb eine Ausnahmesituation vorliegt.
- Die Baubewilligungsbehörde ihrerseits muss diese Argumente prüfen und im Baubewilligungsentscheid begründen, weshalb die Interessen am Einbau eine Ausnahme rechtfertigen.
Schlussfolgerungen
- Tiefgaragen können im Einzelfall weiterhin unter dem mittleren Grundwasserspiegel erstellt werden.
- Wollen Sie eine solche Tiefgarage bauen, dann braucht es nebst den Bauplänen eine nachvollziehbare Begründung für das Vorliegen einer Ausnahmesituation.
- Für solche Einbauten gilt, was allgemein für (komplexere) Bauvorhaben die Regel ist, will man unnötige Folgekosten vermeiden: Klären Sie die rechtlichen Voraussetzungen rechtzeitig, das heisst vor dem Einreichen des Baugesuchs, ab.
Unsere Spezialistinnen und Spezialisten im Bau- und Verwaltungsrecht beraten Sie bei der Planung und Verwirklichung Ihres Bauvorhabens gerne.